Schüler, Lehrer und Eltern erwarten Kontinuität und Verlässlichkeit – Für einen klaren Kurs bei G8 / G9
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zickzackkurs, Unruhe, Chaos, sturmreif Schießen, schulpolitischer Flickenteppich – das sind Begriffe, die auf das Vorhaben der neuen Landesregierung gemünzt sind,rasch das umzusetzen, was man sich verlässlich vorgenommen hat, nämlich den Schulen eine Wahlmöglichkeit für ihren Bildungsgang zu eröffnen. Diese Begriffe springen einen förmlich an, wenn man das Papier der CDU zu dieser Aktuellen Stunde sieht bzw. sich den Beitrag meines Vorredners angehört hat.
Von Chaos zu reden, wenn den Schulen einmalig die Möglichkeit gegeben wird, mehr Raum für das Lernen und Fördern zu schaffen, ist absolut unangemessen.Chaos und Unruhe sind doch vielmehr ausgebrochen, als die ehemalige Landesregierung G8 ohne pädagogische Unterfütterung und Vorbereitungeingeführt hat, beispielsweise bei der sinnlosen Streichung von Lerninhalten.Chaotisch ist es doch wohl auch, Kinder sowie Pädagoginnen und Pädagogen in einen Schulalltag zu schicken, auf den wirklich keiner der Beteiligten auch nur ansatzweise vorbereitet war.
Die Ausweitung des Schultags ohne die Schaffung von Ganztagseinrichtungen ist stellvertretend für viele andere Probleme zu nennen. Es ist peinlich, wenn diejenigen, die einen schulpolitischen Scherbenhaufen hinterlassen haben – die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung –, jetzt diejenigen unfair angehen, die dabei sind, den Scherbenhaufen zusammenzukehren.
Wir verstehen das, was jetzt auf den Weg gebracht wird, als das, was es wirklich ist: ein Angebot, um die Unzufriedenheit auszuräumen, die an vielen Schulen herrscht, um den Leidensdruck von Schulen, Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Schülerinnen und Schülern zu nehmen, die unter dem unausgegorenen G8 leiden.
Es soll eine Chance für all diejenigen sein, die mehr Kindern die Möglichkeit geben wollen, das Abitur vernünftig zu schaffen, und zwar mit weniger Stress, mehr Förderung und – das gebe ich gerne zu – mehr Freizeit, die man allerdings auch braucht, um wieder Leistung bringen zu können.
Verlässlichkeit wollen wir natürlich auch. Wir haben im Wahlkampf laut und vernehmlich versprochen, diese Wahlmöglichkeit für die betroffenen Schulen zu schaffen. Es war nicht zuletzt dieses Versprechen, das die Wählerinnen und Wähler bewogen hat, Schwarz-Geld so deutlich aus der Regierungsverantwortung abzuwählen.
Was die CDU in der Aktuellen Stunde anspricht, spiegelt nur den Teil der Wahrheit wider, den man sich gern zu eigen macht, wenn man die Wahrheit nur partiell anspricht. Völlig negiert wird nämlich die tiefe Unzufriedenheit bei der Umsetzung von G8, die durch unser ganzes Land geht: von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen.
In Rheinland-Pfalz beispielsweise sind von 146 Gymnasien 133 G9-Schulen. In Baden-Württemberg fordert Ende Februar 2010 der – man höre und staune – dortige Philologenverband, der wohl nicht im Ruf steht, den Sozialdemokraten oder den Grünen besonders nahe zu stehen, das 13. Schuljahr. In Brandenburg mehren sich vernehmlich die Stimmen der Lehrerinnen und Lehrer, die G8 infrage stellen. In Niedersachsen ist die erforderliche Zahl an Unterschriften zur Erwirkung eines Volksentscheids pro G9 lange überschritten. In Bayern demonstrieren Tausende für G9. Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts vom März 2010 wollen etwa 71 % der Befragten G9 zurück. Es sind schon ganz kolossale Nebelkerzen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, werfen, wenn Sie davon reden, ob dieses Schulversuchs breche an den Schulen Chaos aus. Chaossoll ausbrechen, wenn eine Lehrerkonferenz und eine Schulkonferenz entscheiden, den Weg zu G9 zu gehen oder bei G8 zu bleiben? Mehr muss eine Schule zunächst nämlich gar nicht tun. Bis Mitte Dezember muss der Antrag des Schulträgers bei der Bezirksregierung liegen. Die Genehmigung durch das Ministerium erfolgt bis Januar 2011. Parallel dazu wird ein Beirat gebildet. Anfang des Jahres 2011 erfolgt eine Beauftragung der wissenschaftlichen Begleitung. Die Entwicklung einer APO für G9 ist bis Ostern geplant. Das alles ist machbar und leistbar. Besonders Schulen, die dem Druck ausweichen und die Option nutzen wollen, werden das innerhalb der Fristen auf den Weg bringen. Man sollte den Schulen schon zubilligen, dass sie wissen und entscheiden können, ob sie dieses Vorhaben personell und pädagogisch stemmen können. Wir unterbreiten ein Angebot – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieser Schulversuch dient eben auch dazu, herauszufinden, ob der Schulerfolg bei G9 größer ist als bei G8. Das Ganze wird wissenschaftlich begleitet. Das heißt, es wird evaluierbar sein. Das ist alles ganz seriös und ganz unaufgeregt unter Hinzuziehung eines Beirats, angesiedelt beim Schulministerium.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie kommen mir in diesem Zusammenhang vor wie jemand, der in ein Schuhgeschäft geht und aus dem Regal die Latschen G8 herauszieht, die er seit fünf Jahren trägt. Auf den zarten Hinweis des Verkäufers hin, dass sie an der einen oder anderen Stelle drückten oder zu eng seien, es aber ein Modell mit der gleichen Sohle, dem gleichen Muster und dem gleichen Obermaterial gebe, das G9 heiße, das man mal anziehen können, wird barsch verwiesen: Lassen Sie mal gut sein. Ich bin für Kontinuität. Ich zieh diese Dinger an. Dann sagen Sie demjenigen, der Ihnen den Rat gibt, auch noch: Verbreiten Sie bitte kein Chaos, wenn ich zu Ihnen komme.
Meine Damen und Herren, etwas mehr Entspannung im Umgang mit dem Thema wäre durchaus angemessen. Rufen Sie mit solchen Schlagworten wie Chaos, Flickenteppich und Unruhe nicht immer wieder die Geister, die bei Ihnen selbst noch quicklebendig herumspuken. So werden Sie die übrigens auch nicht los. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.