Plenarsitzung am 10. November 2010. Rede zum FDP-Antrag „Gerechtere und flexiblere Lehrerarbeitszeit für die weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen umsetzen – ein am „Mindener Modell orientiertes Jahresarbeitszeitmodell flächendeckend einführen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag der FDP hat in der Tat ein wichtiges Thema zum Inhalt: Die Lehrerarbeitszeit. Es ist bekannt, dass Lehrerinnen und Lehrer unter der ihnen zugemuteten Fülle von Aufgaben leiden. Sie erbringen trotzdem – in den meisten Fällen – Tag für Tag Leistungen, die Außenstehenden Respekt abfordern. Das tun sie in der Regel ohne zu murren, manche von ihnen bis an den Rand der psychischen Erschöpfung. Es ist kein Wunder, dass das Burn-Out-Syndrom gerade in diesem Beruf besonders verbreitet ist. Dazu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer, verglichen mit anderen Berufsgruppen, echte „Allrounder“ sind: Sie müssen nicht mehr nur Lehrstoff vermitteln, sondern sind in vielen Fällen obendrein auch noch einzig erlebte Moralinstanz bis hin zur Rolle der Ersatzmutter bzw. des Ersatzvaters. Sie sind Lehrende in der Klasse und so ganz nebenbei Verwaltungsfachleute und Bürokraten im Lehrerzimmer bei der Umsetzung der immensen Anzahl von Vorschriften, Erlassen und Gesetzen. Dies geschieht immer unter Einhaltung aller Vorschriften und Regularien, die von oben segensreich – natürlich segensreich – auf sie herabgelassen werden. Das alles wissen zumindest diejenigen, die sich mit dieser schwierigen Materie etwas näher beschäftigen.
Das Thema Lehrerarbeitszeit ist wichtig und verdient genaueres Hinsehen. Und genau dieses genauere Hinsehen fehlt in Ihrem Antrag, meine verehrten Damen und Herren von der FDP. Der Antrag wird dem Thema in dieser Form nicht gerecht, weil er zu kurz greift! Er greift deshalb zu kurz, weil das Thema Lehrerarbeitszeit viel komplexer und facettenreicher ist, als es hier dargeboten wird. Sie nehmen sich aus dem bunten Strauß der Lehrerarbeitszeit eine einzelne Blume heraus. Diese blüht zwar schnell, aber eben nicht dauerhaft und wird dann „ Mindener Modell“ genannt. Diese einzelne Blume macht aber keineswegs den gesamten Strauß aus: Vor- und Nachbereitungsaufwand, Korrekturaufwand, Konferenzen oder auch Beratungsaufgaben sprechen Sie zwar an, doch das Mindener Modell hat dazu eben nicht die umfassend befriedigenden Antworten geliefert.
Die Frage der unterschiedlichen Bezahlung von verbeamteten und von angestellten Lehrern – im Schnitt immerhin ca. 500 € netto – wird nicht thematisiert. Wenn wir über Ungerechtigkeit bei der Lehrersituation reden, weiß ich nicht, wo diese Ungerechtigkeit offensichtlicher wird. Die Frage der real existierenden Beanspruchung unterschiedlicher Fächer wird ebenfalls nicht ausreichend thematisiert.
Das dafür von Ihnen vorgeschlagene „Mindener Modell“ bietet auf die beiden von mir nur bespielhaft genannten Komplexe schon keine ausreichende Antwort. Darüber hinaus darf ich daran erinnern, dass dieses Modell selbst bei den Beteiligten nicht unumstritten war (Zustimmung nur 75%) und immer noch ist.
Es zeigt sich, dass dieses Modell der ganzen Komplexität, der von mir nur angerissenen Problematik, nicht gewachsen ist. Ein Beispiel: Wer legt den Bewertungsfaktor der einzelnen Fächer fest? Das Lehrerkollegium mit seinen Egoismen? Der allmächtige Schulleiter oder die allmächtige Schulleiterin? Die Lehrerkonferenz, die zufällig 25 sogenannte Hauptfachkolleginnen und -kollegen hat, aber nur 10 Fachkräfte für die Nebenfächer, während in einer vergleichbaren Schule im Nachbarort beispielsweise das Verhältnis ein völlig anderes ist und man deshalb natürlich zu anderen Ergebnissen kommt?
Wer beispielsweise dem Fach Sport einen relativ niedrigen Faktor zuweist, hat wahrscheinlich noch nie vier Stunden Sport hintereinander in einer Sporthalle unterrichtet. Da gibt es Stressfaktoren der unterschiedlichsten Art, die sich deutlich und erheblich vom Unterricht in einem Klassenzimmer unterscheiden und die in anderen Fächern in dieser Intensität gar nicht virulent sind.
Oder nehmen wir ein anderes Fach, das Messinstrument bleibt weiter ungenau: Die Lehrerin, die zum 15. Mal „Effi Briest“ lesen und analysieren lässt, die in ihrem Fundus zu Hause geschätzte 3 m Regalwand an Interpretationen und Analysen hat, die Schubladen voll ausgearbeiteter Unterrichtsbausteine ihr Eigen nennt und voll durchgeplante Unterrichtsstunden aus dem Köcher zieht. – Diejenige soll genauso bewertet werden, wie die ambitionierte Junglehrerin, die sich den Roman eines weitgehend unbekannten Schriftstellers aussucht und diesen ohne Reclam-Hilfen in den Mittelpunkt ihres Unterrichtes stellt?
Die Liste der Beispiele, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ließe sich noch beliebig lange fortführen. Auf eine weitere Position in Ihrem Antrag will ich dennoch gern eingehen. Sie widmen der sogenannten Mangelfachproblematik fast eine ganze Seite in Ihrem Antrag. Quantitativ eine Menge, qualitativ eher dürftig. Sie stellen die Behauptung auf, dass sogenannte Mangelfächer deshalb nicht studiert wurden, weil – jedenfalls, wenn es Korrekturfächer sind – der Studierende genau abschätzt und erkennt, was er sich da arbeitsmäßig ans Bein bindet. Das soll dann die Motivation sein, eher ein sogenanntes Nebenfach ohne Korrekturen zu studieren? Das, verehrte FDP, ist schlicht und ergreifend nur eine Behauptung und wird auch dadurch, dass sie in Ihrem Antrag steht, nicht zu einer Tatsache. Es bleibt eine Vermutung und ist deshalb als Beleg oder Beweis unbrauchbar. Es gibt aber eine ganz andere Mangelfachproblematik, die Sie nicht ansprechen und die auch das „Mindener Modell“ nicht löst: Die Tatsache, dass es an vielen Schulen beispielsweise zu wenig Lehrerinnen und Lehrer für Sport, Musik und Religion gibt. Das sind im übrigen Fächer, die eben nicht fachfremd unterrichtet werden können oder sogar dürfen, was dazu führt, dass diese Fächer einfach ausfallen. Genau diese Mangelfachproblematik löst das „Mindener Modell“ eben auch nicht.
Und noch etwas fällt bei Ihrem Antrag auf. Eine Tatsache, die ich hier nennen muss, weil es zur Realität einfach dazu gehört, sehr geehrte Damen und Herren von der FDP: Sie haben in Regierungsverantwortung fünf Jahre Zeit gehabt, dieses Thema nach vorn zu bringen. Ich frage mich – was haben Sie denn die ganze Zeit hier gemacht, außer einen Modellversuch auf die Reise zu schicken? Sie machen sich hier einen ziemlich schlanken Fuß und blenden Ihre Untätigkeit aus, wenn Sie nun plötzlich die rot-grüne Landesregierung auffordern, doch bitte endlich mal tätig zu werden.
Im Übrigen ist Eile, Hast und hektische Betriebsamkeit gar nicht nötig. Im Koalitionsvertrag – das haben Sie richtig erkannt – steht, dass eine Kommission eingesetzt werden soll, die unter anderem ein neues Lehrerarbeitszeitmodell entwickeln wird. Das scheint uns der richtige Weg zu sein und den wollen wir weiter verfolgen. Es ist sicherlich weitreichender, als auf ein Modell zu setzen, das sich schon 2007 nicht durchsetzen konnte. Wir sollten natürlich alle gemeinsam darauf achten, dass nach Einsetzung dieses Gremiums auch zeitnah Ergebnisse getätigt werden. Und da ist Politik ja nicht außen vor.
Ich stelle noch mal fest, ein umstrittenes Modell ist für uns nicht der richtige Weg das Problem der Lehrerarbeitszeit zu lösen. Am Ende dieses Tagesordnungspunktes steht die Überweisung an den zuständigen Fachausschuss. Die SPD erwartet ihn dort in der Hoffnung, dass Sie, verehrte Damen und Herren von der FDP, zu einem Dialog bereit sind und der Einrichtung einer Kommission nicht mehr so ablehnend gegenüber stehen, wie zum heutigen Zeitpunkt. Ich glaube, wir tun gut daran, flexibler als bisher mit dem oben genannten Thema umzugehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.