Vergangenen Mittwoch erreichte mich eine offener Brief von Norbert Römer an seine Kollegen und Kolleginnen zum Thema Flüchtlingpolitik. Sein Brief setzt sich mit der aktuellen deutschen Flüchtlingspolitik auseinander. Mit der Veröffentlichung dieses Briefs auf meiner Homepage, möchte ich mich zu Römers Schreiben und meiner vollen Unterstützung seiner Vorschläge bekennen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
die Bilder der letzten Tage sind uns allen noch deutlich vor Augen. Viele tausend Menschen erreichen erschöpft in Zügen und Bussen unsere Republik. Sie kommen, weil sie hier Schutz für sich und ihre Familien suchen, weil sie der Armut entrinne wollen und weil sie auf ein besseres und selbstbestimmtes Leben für sich und ihre Kinder hoffen. Wir wollen ihnen helfen, soweit es geht und soweit es in unserer Kraft steht. Und wir sind dankbar, froh und auch stolz, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Arme weit öffnen und die Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen.
So unterschiedlich die Motive der Menschen sind, nach Deutschland zu kommen, so differenziert müssen auch unsere Handlungsansätze sein, damit umzugehen. Das Grundrecht auf Asyl, wie es der Artikel 16a unseres Grundgesetzes vorsieht, gilt uneingeschränkt für diejenigen, die politisch verfolgt sind. Sie genießen bei uns Schutz vor Verfolgung ohne jedes Wenn und Aber. So verständlich auch die Motive derjenigen sind, die darüber hinaus unser Land erreichen, ebenso klar muss gelten: Wer nicht politisch verfolgt ist, wird sich nicht auf das Asylrecht berufen können. Um die darüber hinaus gehende Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen, brauchen wir dringend gesetzliche Regelungen zur Einwanderung.
Die Bundeskanzlerin hat mit dem Öffnen der Grenzen durch die stillschweigende Aussetzung des Dublin-Abkommens gegenüber Ungarn gemeinsam mit Österreich ein Signal der Menschlichkeit weit über unsere Grenzen hinaus gesetzt. Leider sind nur wenige europäische Staaten diesem guten Beispiel gefolgt.
Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Rahmen des Schengen-Abkommens mag vorübergehend eine Atempause darstellen, um in Deutschland zu einer geordneten Erstaufnahme und Unterbringung zurückzukehren. Eine wirksame Antwort auf die Herausforderung der Flüchtlingsbewegung nach und in Europa ist sie nicht. Wenn Europa als Wertegemeinschaft seiner Verantwortung gerecht werden will, bedarf es deswegen klarer gemeinsamer Regelungen über die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Die Bundeskanzlerin steht in der Verantwortung, die dafür notwendigen Vereinbarungen bei den Partnern in der EU durchzusetzen.
Diese Situation fordert uns alle auch in unseren Ländern und Gemeinden heraus, aber ich bin sicher: Sie wird uns nicht überfordern, wenn wir klug und besonnen handeln und unsere Kräfte bündeln. Ich begrüße vor diesem Hintergrund sehr, dass die Bundesregierung sich schon vor einer Woche auf ein entsprechendes erstes Maßnahmepaket verständigt hat. Dies ist ein richtiger und wichtiger Schritt hin zu einer stärkeren Beteiligung des Bundes an der Bewältigung dieser nationalen Herausforderung. Aber – und da weiß ich mich mit vielen von Euch einig – dieser Schritt reicht bei weitem nicht aus. Gerade die letzten Tage zeigen uns: Wir brauchen schnell und wirksam Soforthilfen für Länder und Kommunen und eine dauerhaft tragfähige und gemeinsame Strategie, die durch konkrete Maßnahmen und eine strukturelle Beteiligung des Bundes an den Kosten hierfür hinterlegt ist.
- Im Rahmen der Soforthilfe muss der Bund schnell alle verfügbaren Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen öffnen. Hierzu gehören auch in (Teil-) Nutzung befindliche Liegenschaften der Bundeswehr und der Bundesbehörden. Es ist für mich völlig unverständlich, dass beispielsweise in RNW mit den Standorten des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW in Selm-Bork und Schloss Holte-Stukenbrock gleich zwei Einrichtungen genutzt werden, während dies bei Liegenschaften des Bundes – insbesondere der Bundeswehr – nicht möglich sein soll.
- Noch für 2015 brauchen Länder und Kommunen eine weitere spürbare Entlastung von den Kosten der Unterbringung der Flüchtlinge durch den Bund. Die vom Bundeskabinett vor fast drei Wochen beschlossene Verdoppelung auf 1 Milliarde Euro reicht bei weitem nicht, um den schon in diesem Jahr entstehenden Kosten auch nur teilweise gerecht zu werden. Grundlage für die Zusage von 500 Millionen Euro war eine Prognose des BAMF von 230.000 Flüchtlingen im Dezember 2014. Die aktuelle Prognose noch vor den Aufnahmen der letzten Tage beträgt 800.000 Menschen. Auch diese Einschätzung ist von der Wirklichkeit schon überholt worden. Nach meiner Rechnung müssten mindestens 2 Milliarden Euro noch in 2015 fließen, nur um die bereits zugesagte Entlastung noch zu realisieren.
- Die Verfahrensdauer für die Bearbeitung der Asylanträge muss umgehend auf drei Monate reduziert werden. Hierzu reichen Symbolinstrumente nicht aus, solange nicht durch mehr Personal und eine bessere Organisation des zuständigen Bundesamtes die praktische Bearbeitung der Asylanträge realisiert wird.
Ich schlage vor, die Zahl der zu besetzenden Stellen im BAMF schnell – analog zur Stellenausweitung bei der Bundespolizei – um weitere 3.000 anzuheben und die Einstellungsvoraussetzungen vergleichbar denen des allgemeinen gehobenen Verwaltungsdienstes zu gestalten. Organisatorisch scheint es mir notwendig, das Verfahren zu straffen. Bei denjenigen, bei denen aufgrund ihrer Nationalität eine Anerkennung ihres Antrags zu erwarten ist, sollte zudem regelmäßig auf die aufwendige Prozedur der Anhörung verzichtet werden.
- Die zugesagte Kostenübernahme durch den Bund für 2016 kann schon heute den Ansprüchen, die die Bundesregierung selbst an sie stellt, nicht mehr gerecht werden. Schon auf der Grundlage der überholten BAMF-Prognose von 800.000 Flüchtlingen entstehen den Kommunen allein für die Unterbringung Kosten in Höhe von rd. 10 Milliarden Euro jährlich. Eine hälftige Übernahme der Kosten durch den Bund erscheint mir angemessen, aber auch unbedingt erforderlich. Werden die weiteren Aufwendungen für Gesundheitsversorgung, Bildung und Betreuung hinzugerechnet, würde schon bei einer überschlägigen Berechnung so eine Verdoppelung der bislang veranschlagten Summe auf rund 6,25 Milliarden Euro im Jahr 2016 notwendig werden. Diese müsste als strukturelle quotale Beteiligung erfolgen, um der tatsächlichen Entwicklung dauerhaft Rechnung zu tragen.
Es gäbe sicher noch Vieles dazu zu sagen, beispielsweise hinsichtlich der Bekämpfung von Fluchtursachen. Ich will mich aber an dieser Stelle darauf beschränken, meinen Eindruck zu bekräftigen, dass in der aktuellen Entwicklung auch eine große Chance liegt: In einem Land, dass immer älter wird, können die zu uns kommenden Menschen genau den Mangel an jungen Fachkräften ausgleichen, dem wir aufgrund der demografischen Entwicklung in vielen Teilen und vielen Branchen unseres Landes entgegen gehen. Sicher, hierfür ist zusätzlich die Integration in den Arbeitsmarkt, sind zusätzlich Bildung und Ausbildung der bei uns bleibenden Menschen notwendig. Grundlage ist aber, dass wir gemeinsam die aktuelle Herausforderung der bei und ankommenden Menschen meistern und damit die Akzeptanz, ja die riesige Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Deutschland erhalten.
In diesem Sinne möchte ich Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Unterstützung meiner Vorschläge bitten und verbleibe
mit einem herzlichen Glückauf!
Norbert Römer MdL
Fraktionsvorsitzender
(Foto: SPD NRW, Parteitag der NRWSPD 2012 in Münster)