Wenn im Fall Amri die Behörden schon damals gewusst hätten, was sie heute wissen, dann hätten sie anders gehandelt. Na Glückwunsch! Ein Kommentar von Stefan Lauscher.
Ja, was denn nun? Hätte man den Berlin-Attentäter Anis Amri schon mit dem bestehenden rechtlichen Instrumentarium in Haft nehmen und damit als Gefährder dauerhaft ausschalten können? Nach § 58a Aufenthaltsgesetz sogar bis zu 18 Monate lang. Oder hätte man nicht?
Auch am Wochenende drehte die Diskussion darüber unter Rechtsgelehrten (und Politikern, die sich dafür halten) neue, schillernde Runden. Das Credo der Kritiker: Klar wäre das gegangen! Den Höhepunkt lieferte per Fernseh-Interview der Direktor des Amtsgerichtes in Ravensburg, wo Amri im Sommer 2015 tatsächlich für zwei Tage in Abschiebehaft saß.
Wenn, sagt dieser Chef des Amtsgerichtes (und jetzt wörtlich), wenn uns alles bekannt gewesen wäre, was uns heute bekannt ist. Wenn uns alle Informationen vorgelegen hätten. Und wenn auch die übrigen Voraussetzungen gegeben gewesen wären. Ja, dann hätte man wahrscheinlich gehandelt. Glückwunsch! Wenn ich die Gewinnzahlen vom Lotto schon am Freitag gewusst hätte, wäre ich heute ein reicher Mann. Was bitteschön ist das denn für eine Diskussion?
Ich halte mal ein einziges, kleines „Wenn“ dagegen: Wenn das alles angeblich doch rechtlich schon möglich war, warum ist das Gesetz dann – bis auf einen einzigen, übrigens auch nicht erfolgreichen Fall in Sachsen vor zehn Jahren – niemals angewendet worden? Und warum wird das Gesetz jetzt mühsam geändert? Wenn doch alles schon möglich ist.
Die FDP im Düsseldorfer Landtag hat am Wochenende als erste Oppositionspartei glasklar den Rücktritt von NRW-Innenminister Jäger gefordert. Die CDU ist noch ein wenig zurückhaltender. Beide – auch die Piraten übrigens – fordern dreimal am Tag lautstark Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Aber dem Vorschlag von Ministerpräsidentin Kraft, einen von allen Fraktionen eingesetzten unabhängigen Gutachter mit der Frage von Behördenversagen in NRW zu beauftragen, haben sie heute abgelehnt. Ist der Wunsch nach unabhängiger Aufklärung vielleicht doch nicht so groß?
Die Strategie der Opposition im Landtag ist klar, aber sie ist auch gefährlich. Die Opposition will Jäger jagen. Bis zum letzten Tag vor der Landtagswahl. Wäre doch zu schön: Muss der SPD-Minister gehen, ist die Schuldfrage geklärt. Und CDU, FDP und Piraten könnten sich heldenhaft als Wahrer der inneren Sicherheit präsentieren. Nur wofür soll der Innenminister zurücktreten? Bislang ist nichts erkennbar, was er oder die Behörden in NRW falsch gemacht hätten. Am Ende – und das ist das Gefährliche – bleiben ein angeschlagener Minister, Parteien, die sich endlos streiten, und ein durch diese hysterisch geführte Debatte befördertes Gefühl, jeder Flüchtling sei ein mutmaßlicher Gefährder. Profitieren davon wird nur eine Partei: Die AfD. Die braucht eigentlich gar nichts zu tun. Nur zuschauen und am Wahltag die Ernte einfahren.