Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zum Umgang der Landesregierung mit dem Brexit

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zum Umgang der Landesregierung mit dem Brexit

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zum Umgang der Landesregierung mit dem Brexit 5472 3648 Rüdiger Weiß

In ihrem Koalitionsvertrag unterstreicht die Landesregierung „die engen und vertrauensvollen Beziehungen zu Großbritannien“, die sie weiter „pflegen und intensivieren“ möchte. Gleichzeitig verspricht sie „die Alltagsprobleme der vom Brexit betroffenen Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen nach dem Brexit im Blick [zu] behalten“ und Hilfe anzubieten. Die Einsetzung eines Brexit-Beauftragten hält sie für nötig um „Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen auf die Folgen des Brexit vorzubereiten und neue Perspektiven für die Beziehungen zu entwickeln“ (S. 115).

Die Dramatik des Austrittswunsches Großbritanniens aus der EU wird durch die aktuellen politischen Entwicklungen vor Ort weiter verschärft.

Zwei Austrittstermine aus der Europäischen Union hat Großbritannien bereits verstreichen lassen, der kommende steht mit dem 31.10.2019 kurz bevor. Mit der Wahl von Boris Johnson zum Vorsitzenden der Conservative and Unionist Party und der damit einhergehenden Übernahme des Premierministerpostens steigt auch, vor allem in Anbetracht der Neubesetzung des Kabinetts Johnsons, die Wahrscheinlichkeit eines sogenannten harten Brexit.

Die Landesregierung behauptete zwar Anfang des Jahres, sie sei auf alle möglichen Brexit-Szenarien vorbereitet, doch was steckt tatsächlich hinter dieser Aussage? Konstatiert werden kann ihr bestenfalls, dass sie sich um das Allernotwendigste kümmert, um sich nicht dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung auszusetzen:

  • Sie hat ein Normenkontrollverfahren durchgeführt und ein Brexitübergangsgesetz als Formalität für den Fall eines geordneten Brexit eingebracht.
  • Sie führt Gespräche auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen (Interministerielle Arbeitsgruppe „Brexitfolgen“, Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Brexit“)
  • Sie hat ohnehin fachlich zuständige Regierungsangestellte als Kontaktpersonen für eine „Hotline“ benannt.

Doch ist das wirklich angemessen für eine historisch einmalige, politische Ausnahmesituation, die Ministerpräsident Armin Laschet selbst im ungeordneten Brexit-Fall als „große Gefahr“ sieht und mit dem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen in NRW rechnet?

Ihr weiteres „Engagement“ beschränkt sich darauf, eine „NRW-Repräsentanz in London“ errichtet zu haben, die eigentlich 70km außerhalb von London liegt, lange Zeit nicht einmal ein Türschild hatte und von einem Berater neben anderen Projekten betrieben wird. Auf den politischen und medialen Druck hin scheint es nun zumindest Räumlichkeiten in London zu geben.

Auch die von der Regierung in Auftrag gegebene „Brexit-Studie“ des Instituts der Deutschen Wirtschaft ist ein „Flop“: Unternehmen werden befragt, wie gut sie auf den Brexit vorbereitet sind, Vergleichsregionen analysiert und ein eintägiger Workshop zusammengefasst. Wie das Land sich konkret vorbereiten sollte, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gerade den unvorbereiteten Unternehmen bietet, welche Rahmenbedingungen angepasst werden müssten, wie der Standort NRW konkret attraktiver gemacht werden kann (z.B. durch intensive Forschungskooperationen oder einen erleichterten Neustart von Fachkräften nach einem Zuzug) – all diese entscheidenden Fragen bleiben im Dunklen. Abgesehen davon kommt das Ergebnis der Studie ein Jahr zu spät – wie hätte die Landesregierung innerhalb von zehn Tagen vor dem ursprünglichen Austrittsdatum die Ergebnisse des „Brexit.-Projekts“ in konkretes Handeln umsetzen sollen?

Für sämtliche andere Szenarien – etwa ein neu verhandeltes Austritts-Abkommen oder einen harten Brexit – gibt es nur wenige konkrete, öffentlich zugänglichen Informationen zum Stand der Vorbereitung der Landesregierung. Sie zieht sich immer wieder auf die Aussagen zurück, man wisse ja nicht genau, wie der Brexit aussähe, wenn er denn käme. Deshalb müsse man abwarten. Doch gutes Regierungshandeln zeichnet sich doch gerade dadurch aus, proaktiv auf alle Szenarien bestmöglich vorbereitet zu sein und vorab die nötigen Weichen zu stellen.

Angesichts der relativ hohen Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Brexit in zwei Monaten und der nur kraftlos und reaktiv kaum genutzten Vorbereitungszeit von mehreren Jahren, grenzt es an Fahrlässigkeit, mit konkreten Maßnahmen bis nach dem tatsächlichen Brexit zu warten, wenn das Hauptaugenmerk auf der Bewältigung der akuten Auswirkungen liegen wird – was sogar von den Sachverständigen in der letzten Sitzung der Enquetekommission „Brexit: Auswirkungen auf NRW“ am 25. Juni im Landtag angemahnt wurde.

Darüber hinaus würde eine aktivere Informationspolitik seitens der Landesregierung in Bezug auf den Vorbereitungsstand und die möglichen Auswirkungen des Brexit – nicht zuletzt auf die beinahe 30.000 in NRW lebenden Britischen Bürgerinnen und Bürger – für deutlich mehr Transparenz sorgen und ihre Sorgen effektiv auffangen. Forderungen nach einer landesweiten Informationskampagne wurden beispielsweise im Rahmen der Stellungnahme von British in Germany e.V. zur Sachverständigenanhörung der Brexit Enquete im nordrhein-westfälischen Landtag am 10.05.2019 eingebracht.

Die Landesregierung stellt in einigen Bereichen in Aussicht, dass NRW vom Brexit profitieren könne. So sei NRW vor allem als Standort für Unternehmen interessant, stellte beispielsweise der Brexit-Beauftragte im März 2018 fest. Ob die Landesregierung in diesem Zusammenhang etwas vorzuweisen hat, bleibt allerdings unklar. Dem Wirtschaftsministerium zufolge haben Ende 2018 nicht mehr als sieben Unternehmen Interesse bekundet, nach NRW zu kommen – unterschrieben sei aber noch nichts. In einer Pressemitteilung vom 21.03.2019 wiederum erklärt Minister Pinkwart, seit dem Brexit-Referendum hätten sich fast 100 britische Unternehmen in Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Einen detaillierten Überblick über aus dem Brexit resultierende Unternehmensansiedelung scheint die Landesregierung ebenso wenig zu haben, wie einen Einfluss auf die Standortverlegung von Unternehmen nach NRW.

Über tatsächlich aktive Standortpolitik hinaus sollte die Landesregierung auf sich aus dem Brexit möglicherweise ergebende Änderungen der Wettbewerbsbedingungen durch veränderte Umfeld- (z.B. Umwelt-/Klima-, Verbraucherschutz-, Sozial- und Beschäftigungsstandards als auch Steuerkoordinierung) sowie Rechtsregeln (z.B. staatliche Beihilfe, gleiche Wettbewerbsbedingungen) vorbereitet sein. Ein Bewusstsein für daraus potentiell resultierende Wettbewerbsnachteile und die Erarbeitung eines möglichen Handlungskorridors wäre etwa ein proaktiver, verantwortungsvoller Umgang mit den drohenden Brexit-Szenarien gewesen.

Nicht zuletzt innenpolitisch könnte ein ungeordneter Brexit ein Erdbeben in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit auslösen: Etwa der wechselseitige Datenaustausch mit dem Vereinigten Königreich würde abrupt enden, d.h. Straftäter, die aus dem Vereinigten Königreich kommen, könnten leichter in NRW abtauchen. Auch die Verpflichtung Haftbefehle wechselseitig zu vollstrecken würde erlöschen. Es ist mehr als dringend für diesen Fall Sonderverträge abzuschließen, doch auch hierfür ist die Zeit längst zu knapp geworden.

Die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung bleiben auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und sie bleibt einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig. Wenn sie handelt, dann reaktiv und heillos zu spät.

Deshalb frage ich die Landesregierung:

  1. Wie sieht das „umfangreiche Beratungsangebot“ der Landesregierung für Unternehmen aus, unabhängig vom Engagement der Industrie- und Handelskammern?
  2. Wie viele Unternehmen haben nachweislich auf Betreiben der Landesregierung im Zuge des Brexit bisher einen Standort in NRW angesiedelt? (Bitte auflisten nach Unternehmen, Standort, Zahl der in NRW Beschäftigten und Branche)
  3. Wie ist die Brexit-Hotline der Landesregierung aktuell ausgestattet? (Bitte auflisten nach Personal, Ressortbeteiligung und Erreichbarkeit)
  4. Ist eine Informationskampagne wie von „British in Germany e.V.“ gefordert, geplant?
  5. Wie gedenkt die Landesregierung sich auf die innenpolitischen Schwierigkeiten eines ungeordneten Brexit, insbesondere auf das möglicherweise abrupte Ende des polizeilichen Datenaustauschs mit dem Vereinigten Königreich, vorzubereiten?

Meine Kleine Anfrage (inklusive Quellenangaben)

Die Antwort des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales