In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen „grenzüberschreitende Kita-Besuche und grenzüberschreitende Schulbesuche (Primar- und Sekundarstufe) zu ermöglichen“ (S. 116). Ein weiteres Versprechen ist die Stärkung der EUREGIO-Schulen und die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Bildungsstrategie (S. 116).
In den Grenzregionen ist die geographische Grenze zu einem anderen Land kaum mehr spürbar. Für viele ist es Alltag die Grenze mehrmals täglich zu passieren. So selbstverständlich wie der Tagestourismus ist vieles andere nicht. Administrative Hürden schränken ein und halten viele sogar davon ab in einem Land zu wohnen und in dem anderen zu arbeiten. Das, obwohl man sich geografisch so nah ist. Ähnliches gilt für grenzüberschreitende Kita- oder Schulbesuche. Eltern, die zweisprachig sind oder sich dafür entschieden haben in einem Land zu arbeiten und in dem nächsten zu wohnen sind häufig vor die Herausforderung gestellt, zu entscheiden welcher Kindergarten in welchem Land für ihre Kinder in Frage kommt. Oft entscheiden sie aus administrativen Gründen und nicht aus praktischen Gründen. Das schränkt auf der einen Seite das Familienleben ein. Auf der anderen Seite ist allerdings auch zu bedauern, dass wichtige zwischenmenschliche Chancen mit unseren Nachbarn verpasst werden. Sollte es nicht möglich sein, dass man sich mit seinen Nachbarn in einer Sprache verständigt und gleiche Einrichtungen besucht? Grenzen würden damit nicht nur praktisch, sondern auch faktisch in den Behörden abgebaut werden. Das ist zweifelsohne ein wichtiger Ansatz um auch die Grenzen in den Köpfen der Menschen abzubauen. Wo könnte man besser anfangen als bei der jungen, aufstrebenden Generation, bei unseren Kindern?
Die wiederholten Veröffentlichungen von Mehrsprachigkeitsstrategien der Europäischen Kommission, die explizit fordern mehr als die Muttersprache und Englisch zu sprechen, kann nirgends so niederschwellig gelebt werden, wie in Grenzregionen. Hier kann man als europäisches Vorbild vorangehen. Wo ist es einfacher eine weitere Sprache zu lernen als dort, wo man sie täglich anwenden kann?
Eine mehrere Jahre alte Studie des Vereins für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen FMKS e.V. bescheinigt NRW ein äußerst schlechtes Abschneiden bei bilingualen Kindergärten. Trotz der starken Bevölkerungsdichte belegt NRW im bundesweiten Ländervergleich von bilingualen Kita-Plätzen nur Platz zwölf. Einige französischsprachige Kitas, die eher auf Frankreich als auf Belgien ausgerichtet sind, täuschen nicht über die mangelnde Verbindung zu unseren flämisch- niederländischsprachigen Nachbarn in Belgien und den Niederlanden hinweg. Lediglich zwei Kindergärten, einer in Gronau, einer in Krefeld, gibt es, die ein niederländischsprachiges Angebot für Kinder im Kindergartenalter haben. Kein Aushängeschild für unser Bundesland. Bei Grundschulen ist das Abschneiden NRWs nicht besser. Die „Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule“ (QUA-LiS NRW) verweist auf lediglich 33 bilinguale Grundschulen im Land, von denen nur drei niederländischsprachig sind. Diese befinden sich in Ahaus, Gronau und Kranenburg.
Das Euregioprofil ist eine Auszeichnung, die im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens an Grundschulen und weiterführende Schulen der Partnerregionen der Euregio Maas-Rhein vergeben wird. Es wurde vom Zweckverband der Region Aachen in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Köln im Rahmen des INTERREG IV Projektes “linguacluster“ entwickelt. Laut dem Zweckverband der Region Aachen5 gibt es aktuell in NRW 19 Grund- und 15 weiterführende Schulen, die diese Auszeichnung führen. Darüber hinaus gibt es belgische und 10 niederländische Euregioprofil-Grundschulen.
Auf dem Bildungsportal der Landesregierung bietet keinen Überblick über Schulen mit Euregio-Profil, und auch sonst gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen über intensivierte Unterstützungsleistungen der Landesregierung gegenüber Euregio-Profilschulen. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund des Koaltionsvertrags irritierend. In ihrem Antrag „Nordrhein-Westfalen in Europa: Erste Impulse setzen – grenzüberschreitende Kooperation mit den Niederlanden und Belgien intensivieren, den europäischen Zusammenhalt fördern, die strukturellen Verknüpfungen ausbauen“, möchten die Koalitionsparteien „Euregio-Profilschulen als wichtiges regionales Beispiel grenzüberschreitenden bildungspolitischen Wirkens zu unterstützen“. Bisher scheinen diese Ankündigungen nichts als wohlklingende, aber leere Versprechungen zu sein.
Auch die grenzüberschreitende Bildungsstrategie lässt auf sich warten. Letzte Vereinbarungen mit der niederländischen Regierung stammen laut der Internetseite des Schulministeriums aus dem Jahr 2013, und Vereinbarungen mit Belgien, die bedauerlicherweise nur mit der deutschsprachigen Gemeinschaft geschlossen wurde, aus dem Jahr 2009. Damit sind beide nicht mehr zeitgemäß und ein schnelles Handeln durch die Landesregierung wurde bis jetzt verpasst.
Die erste Grenzlandkonferenz zwischen Deutschland und den Niederlanden im Mai diesen Jahres ist in Bezug auf die Schaffung von weiteren Dialog-Foren sicherlich als ein guter Schritt für eine gemeinsame Entwicklung des Grenzraumes zu bewerten. Trotzdem ist zu bedauern, dass in den Pressemitteilungen und Informationsblättern zu dieser Konferenz über viele Ergebnisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gesprochen wird, jedoch nichts Handfestes präsentiert wurde. Öffentlich zugängliche und konkrete Resultate fehlen. Besonders bedauerlich ist, dass Belgien bei dieser Konferenz außen vorgelassen wurde, zumal die Zusammenarbeit zwischen NRW und Belgien in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen steckt.
Die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung bleiben damit auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig.
Deshalb frage ich die Landesregierung:
1. Wie viele Kinder werden aktuell grenzüberschreitend in NRW-Kitas jeweils aus Belgien und den Niederlanden, und in Kitas in Belgien und den Niederlanden jeweils aus NRW betreut? (Bitte auflisten nach Kita-Ort und Kita-Träger)
2. Wie viele Kitas, Kindergärten und Grundschulen mit niederländischem bzw. französischem Sprachangebot gibt es aktuell in NRW? (Bitte auflisten nach Ort, Träger und Zahl Kinder/Schüler*Innen)
3. Welche Euregio-Schulen unterstützt die Landesregierung durch welche Maßnahmen? (Bitte auflisten nach Standort, Schüler*innenzahl und konkretem Unterstützungsangebot)
4. Wie ist der Stand in Bezug auf die Entwicklung der angekündigten grenzüberschreitenden Bildungsstrategie, besonders mit Fokus auf die Beziehungen zwischen NRW und Belgien?
5. Welche konkreten, verbindlichen Ergebnisse hat die erste Grenzlandkonferenz mit den Niederlanden im Bereich der grenzüberschreitenden Kita- und Grundschulbesuche/ der grenzüberschreitenden Bildungsstrategie hervorgebracht?