Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Energie- und Industriebereich

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Energie- und Industriebereich

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Energie- und Industriebereich 5472 3648 Rüdiger Weiß

In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, Unternehmen und Endverbrauchern einen grenzüberschreitenden Energiebezug zu ermöglichen (S. 117). Die Landesregierung möchte außerdem Perspektiven für Energielieferungen aus den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen als Ausgleich für die abgeschalteten belgischen Atomkraftwerke entwickeln, sowie prüfen, „wie eine sinnvolle gemeinsam Entwicklung der Chemieregion Rheinland-Flandern […] unterstützt werden kann“ (ebd.).

Nordrhein-Westfalen ist Energieland Nr. 1 in Deutschland. Rund 30 % des deutschen Stroms, werden hier erzeugt. Die Energieproduktion basiert jedoch momentan hauptsächlich auf CO2intensiven Energieträgern, wie zum Beispiel Braunkohle. Das hat angesichts der Pariser Klimaziele keine Zukunft und damit steht das Land vor tiefgreifenden Veränderungen. Gleichzeitig ist der Energiebedarf in Nordrhein-Westfalen aufgrund der zahlreichen und differenzierten Industriestandorte und der Bevölkerungsdichte extrem hoch. NordrheinWestfalen braucht eine sichere und zukunftsfähige Energieversorgung für seine Einwohner*Innen und Unternehmen.

Schnell sollte klar werden, dass die Frage der Energiewende nicht national und erst recht nicht regional gelöst werden kann. Es braucht gemeinsame Lösungen mit unseren europäischen Partnern. Dies unterstreicht die Europäische Union erst kürzlich erneut mit der Einigung auf das „Clean Energy package for all“, welches jeweils vier Verordnungen und Richtlinien vorsieht um den Energieverbrauch der Europäischen Union an die Klimaziele anzupassen. Es wird darin deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Staaten in Bezug auf die Energiewende absolut notwendig ist. Sie darf nicht bei gemeinsamer Forschung aufhören, sondern muss auch ermöglichen gemeinsame Energienetze zu nutzen und -trassen neu zu verlegen. Denn nur so kann langfristig eine sichere Energieversorgung mit erneuerbaren Energien gesichert werden.

Der derzeitige Stand der Zusammenarbeit mit weiteren europäischen Ländern in NRW ist nicht sehr vielversprechend. Eine der Herausforderungen ist, dass Nordrhein-Westfalens über Grenzkuppelstellen bislang ausschließlich mit den Niederlanden verbunden ist. Zu Belgien ist eine HGÜ-Leitung zwar in Planung, vor 2020 kann allerdings nicht mit ihrer Inbetriebnahme gerechnet werden.

Dabei ist ein Ausbau des Stromnetzes vor allem erforderlich, um Strom aus erneuerbaren Energien zu den Zentren des hohen Verbrauchs transportieren zu können. Dies macht auf lange Sicht das Stromsystem flexibler und ermöglicht niedrige Preise. Erneuerbare Energien stellen uns zweifelsohne vor neue Herausforderungen und denen müssen wir angemessen begegnen. So werden Perspektiven für die Nachhaltigkeit geschaffen.

Die Energieversorgungsstrategie der Landesregierung aus dem Juli 2017 allerdings erweckt den Eindruck, dass Nordrhein-Westfalen den Ansprüchen der Europäischen Union ängstlich gegenübersteht und diesen neuen Herausforderungen nicht angemessen proaktiv begegnet. In der Strategie wir hauptsächlich über die Befürchtungen der Landesregierung des „Clean Energy Packages“ berichtet als über die Chancen, die es bereithält. Auch ansonsten lässt das Papier in Bezug auf den Ausbau grenzüberschreitender Lösungen zu wünschen übrig, da weder konkrete Ziele, noch konkrete Maßnahmen vorgegeben werden.

Zwar findet sich die Energiewende in den Europapolitischen Leitlinien der Landesregierung für das Jahr 2019 wieder, dennoch fehlen auch hier konkrete Pläne zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten.

In den relevanten Papieren der Landesregierung taucht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Energieversorgungs-Bereich also kaum auf. Die Landesregierung verhält sich in Bezug auf Impulse von europäischer und internationaler Ebene passiv und umgeht klare Ziel- und Maßnahmendefinitionen. Offensichtlich wird nur, dass die Industrie vor dem Wegfall der CO2-intensiven Energien geschützt werden soll, andere innovative und erneuerbare Energien sollen aber scheinbar nicht von anderen Mitgliedsstaaten der EU in unser Bundesland kommen.

Zusammen mit dem Flandern und den Niederlanden bildet Nordrhein-Westfalen einen der weltweit bedeutendsten Cluster der Chemie-Industrie. Mit 350.000 Beschäftigten und einem jährlichen Umsatz von 180 Milliarden Euro (Stand 2015) profitiert die Chemie-Industrie der drei Länder von einer sehr effizienten Produktion und Infrastruktur.

Der verschärfte internationale Wettbewerb, vor allen in China, Indien und Saudi-Arabien, stellt die drei Regionen allerdings vor enorme Herausforderungen.

Aus diesem Grund haben die Flämische Regionalregierung die SPD-geführte Landesregierung bereits 2015 im Zuge einer gemeinsamen Kabinettssitzung beschlossen, die Zusammenarbeit zwischen NRW, Flandern und den Niederlanden in diesem Bereich deutlich zu intensivieren und die bis zu diesem Zeitpunkt noch stark regional ausgerichteten Strategien zur Zukunft der Chemiebranche zusammenzufügen.

Basis für die Nordrhein-Westfälische Strategie ist unter anderem der Abschlussbericht der „Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen“, der explizit eine starke Einbeziehung des Landtags in alle zukünftigen Schritte zu diesem Thema empfiehlt.

Angestoßen durch diesen Beschluss aus dem Jahr 2015, haben das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Fachbereich Wirtschaft, Wissenschaft und Innovation der flämischen Regierung und dem niederländischen Wirtschaftsministerium 2017 eine gemeinsame Strategie zur Stärkung der Chemieindustrie veröffentlicht. Diese „Trilaterale Chemiestrategie“ umfasst 21 Maßnahmen für eine effektivere und engere Zusammenarbeit und soll zu einer Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit führen.

Die Verantwortlichkeit zur Umsetzung drei dieser Maßnahmen zielt direkt auf die politische Ebene ab. So soll ein institutionalisiertes trilaterales Gesprächsformat implementiert und sämtliche relevanten Akteure einbezogen, trilaterale Stellungnahmen zu anderen relevanten Politikfeldern angefertigt, und administrative Voraussetzungen und Hindernisse für die trilaterale Zusammenarbeit verringert werden.

Trotz dieser klaren Aufforderungen bleiben ein Großteil der Versprechungen der schwarzgelben Landesregierung auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig.

Deshalb fragen wir die Landesregierung:

1. Wie möchte die Landesregierung bis 2030 den im „Clean Energy Package“ geforderten Anteil von 55% erneuerbaren Energien erreichen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Industrie in NRW nicht unter verteuerten Strompreisen leidet?
2. Welche Perspektiven für Energielieferungen aus den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen als Ausgleich für die abgeschalteten belgischen Atomkraftwerke hat die Landesregierung bisher entwickelt?
3. Wann können Unternehmen und Endverbraucher in NRW damit rechnen, grenzüberschreitend Energie zu beziehen?
4. Welche eigenen – d.h. nicht von der Vorgänger-Regierung übernommenen – Impulse hat die Landesregierung gesetzt, um grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der Energiepolitik und gemeinsamer Netze zu fördern?
5. Welche Fortschritte kann die Landesregierung bei der Umsetzung der sie konkret betreffenden drei Maßnahmen aus der „Trilateralen Chemiestrategie“ vorweisen, auch mit Hinblick auf die Einbeziehung des nordrhein-westfälischen Landtags in das trilaterale Gesprächsformat?

Meine Kleine Anfrage (inklusive Quellenangaben)
Die Antworten der Landesregierung findet ihr hier