In ihrem Koalitionsvertrag unterstreicht die Landesregierung, dass sie „den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt stärken und im Rahmen der EURES-Kooperation ein landesweites System der digitalen Arbeitsvermittlung mit grenzüberschreitendem Bezug implementieren“ (S. 116) werden. Darüber hinaus möchte sie Probleme des Grenzverkehrs identifizieren und abbauen.
Grenzregionen sind eine Art Labor der europäischen Integration. In keinen anderen Regionen erfährt man so nah, was die EU bedeutet und wo ihre Möglichkeiten und Grenzen liegen. Diese Besonderheit wird auch von den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern auf EU-Ebene anerkannt, denn der EU-Haushalt hat in den vergangenen Jahren zu einem erheblichen Anteil zu der Entwicklung der Grenzregionen beigetragen. Bei den aktuell laufenden Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 verspricht eine vorgesehene Klausel, dass die Fördermittel vor allem an Projekte mit einem besonders hohen EU-Mehrwert gehen sollen. Das würde den Grenzregionen neue Möglichkeiten und erhöhte Aufmerksamkeit verschaffen. Ein klarer Vorteil für Nordrhein-Westfalen.
Bereits im September 2017 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Bericht, der auf aktuellen Schwächen von europäischen Grenzregionen und deren grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingeht und Maßnahmen zur Stärkung und zum Wachstum dieser vorschlägt. Hier wird festgestellt, dass Grenzregionen im Allgemeinen wirtschaftlich weniger gut abschneiden als andere Regionen eines Mitgliedstaats. Gleichzeitig gibt es für diese Regionen aber auch hohe wirtschaftliche Wachstumschancen. Auch auf konkrete Probleme des Grenzverkehrs wird eingegangen. Warum die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag eine eigene Evaluierung der Lage durchführen möchte, statt die Impulse der Kommission aufzugreifen ist kaum nachvollziehbar und zeigt, dass bei den handelnden Personen kein Verständnis für das Nutzen von Synergieeffekten vorherrscht.
Der Bericht der Kommission stellt unter anderem auch heraus, welche großen Schwierigkeiten und administrativen Hindernisse es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die in einem Land arbeiten und im anderen wohnen. Teilweise, so die Kommission, werden Arbeiten und das Erkunden des Arbeitsmarktes im Nachbarland gar nicht erst in Erwägung gezogen, da es mit zu vielen Hindernissen verbunden ist. Dadurch entgeht den Grenzregionen und damit auch Nordrhein-Westfalen, so der Kommissionsbericht, ein großes wirtschaftliches Potential. Allein die Beseitigung von vergleichsweise geringen Hemmnissen würde die Wirtschaftskraft auf beiden Seiten der Grenzen veritabel stärken können. Die Europäische Union würde gleichzeitig erlebbarer werden, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch uneingeschränkter von der Personenfreizügigkeit Gebrauch machen könnten.
Die Europäische Arbeitsbehörde (European Labour Authority, kurz ELA), die im Oktober 2019 ihre Arbeit aufnehmen wird, will sich mit den Auswirkungen des integrierten Binnenmarktes auf den Arbeitsmarkt, und in besonderem Maß mit der Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auseinandersetzen und ihnen beratend zur Seite stehen. Entstanden aus den Forderungen der „Europäischen Säule sozialer Rechte“ soll sie sich für faire, vereinfachte und soziale Mobilität von europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einsetzen. Ein zentraler Aspekt nicht nur in Grenzregionen.
Damit die ELA dafür sorgen kann, dass die „Europäische Säule sozialer Rechte“ verwirklicht wird, muss sie aktiv unterstützt werden. Ein Schwerpunkt sollte auf dem Zugang zum Sozialschutz liegen, denn nur ein soziales Europa sei ein nachhaltigeres Europa beteuert der Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis.
Die Rolle der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist deshalb bei der Beseitigung von jeglichen Hemmnissen zentral. Es muss eine Bereitschaft geben, europäische Richtlinien auf ihren Einfluss auf den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt zu prüfen und sich folglich in der Umsetzung mit den Nachbarländern abzusprechen. Nur so können administrative Hemmnisse beseitigt werden beziehungsweise gar nicht erst entstehen. Dafür muss sich NRW auf Bundesebene stark machen und die Forderungen klar vertreten.
Die Regierungsparteien fordern in einem Antrag, Gespräche mit den niederländischen und belgischen Partnern aufzunehmen um eine gemeinsame Ausbildungs- und Weiterbildungsstrategie in Bezug auf handwerkliche und technische Berufe zu entwickeln und diese durch die Digitalisierung zu stärken. Außerdem wolle man sich auf Bundesebene dafür einsetzen das Handeln der deutschen Agentur für Arbeit mit denen der Grenzländer zu koordinieren um auf unbesetzte Arbeitsstellen jenseits der geografischen Grenzen hingewiesen zu werden. Die Website „www.grenzinfopunkt.eu“ soll ausgeweitet werden, um zentral Informationen zum grenzüberschreitenden Arbeiten griffbereit zu haben.
Unklar bleibt, ob die Landesregierung auf diese Ankündigen auch Taten folgen lassen hat, und ob die Landesregierung beispielsweise mit ihrer digitalen Arbeitsvermittlung in Konkurrenz zur ELA treten, oder sie ergänzend unterstützen möchte.
Zwar hat die Landesregierung im April 2019 eine „Erneuerte politische Erklärung der Regierungen der Mitgliedstaaten der Benelux-Union und des Landes Nordrhein-Westfalen über die weitere Entwicklung einer engen Zusammenarbeit“ unterzeichnet, die das Thema „Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt“ explizit aufgreift. Allerdings beschränkt sich die Erklärung in diesem Bereich auf zu großen Teilen bereits geleistete Absichtsbekundungen, sodass aus ihr keine konkreten Maßnahmen oder neue Initiativen erwachsen.
Die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung bleiben damit auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig.
Deshalb frage ich die Landesregierung:
1. Welche in der Studie der Kommission aus Jahr 2017 identifizierten Hemmnisse des grenzüberschreitenden Verkehrs, sowie des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes hat die Landesregierung abgebaut?
2. Was hat die Landesregierung bisher unternommen, um die Einrichtung der Europäischen Arbeitsbehörde, vor allem vor dem Hintergrund der sozialen Dimension eines integrierten Arbeitsmarkts zu unterstützen?
3. Wie ist der Stand der Implementierung eines landesweiten Systems der digitalen Arbeitsvermittlung mit grenzüberschreitendem Bezug?
4. Inwiefern plant die Landesregierung konkret mit der Europäischen Arbeitsbehörde zusammen zu arbeiten?
5. Welche konkreten Ergebnisse gibt es bereits aus den angekündigten Gesprächen mit den Niederlanden und Belgien in Bezug auf eine gemeinsame Ausbildungs- und Weiterbildungsstrategie für handwerkliche und technische Berufe?
Meine Kleine Anfrage (inklusive Quellenangaben)
Hier findet ihr die Antworten der Landesregierung