Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur entwicklungspolitischen Rolle NRWs

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur entwicklungspolitischen Rolle NRWs

Rüdiger Weiss: Kleine Anfrage zur entwicklungspolitischen Rolle NRWs 5472 3648 Rüdiger Weiß

In ihrem Koalitionsvertrag bekennt sich die Landesregierung, „in aller Deutlichkeit zu den Grundsätzen eines fairen und nachhaltigen Freihandels“ (S. 114). Gleichzeitig möchte die Landesregierung aber die „bestehenden Instrumente der nordrhein-westfälischen Entwicklungspolitik […] überprüfen“, um das „Fördervolumen insbesondere dort zu reduzieren, wo der Nachweis eines konkreten Nutzens nicht durch unabhängige Evaluierung erbracht ist“ (S. 118).

Ein klares Bekenntnis und angekündigte Kürzungen im selben Bereich lassen die nordrheinwestfälischen Bürgerinnen und Bürger darüber im Unklaren, in welche Richtung die entwicklungspolitischen Aktivitäten des Landes unter schwarz-gelber Führung gehen sollen.

In ihrem Antrag „Leitplanken des freien und fairen Handels stärken“ geben CDU und FDP zwar vor, freien und fairen Handel zusammenzudenken. Allerdings steht im Zentrum der Bestrebungen lediglich der Ausbau des freien, und nicht des fairen Handels. So sollen dem freien Handel lediglich „Leitplanken der Fairness“ (ebd.) gesetzt werden, ohne genauer darauf einzugehen, was genau das bedeuten soll.

Noch dramatischer deutlich wird der Widerspruch zwischen den unterschiedlichen Versprechungen des Koalitionsvertrags in der vollständigen Aushöhlung des Tariftreue- und Vergabegesetzes (TVgG). Im Rahmen des „Entfesselungspaket I“ entzog die schwarz-gelbe Landesregierung den nordrhein-westfälischen Kommunen jede rechtliche Grundlage für eine öffentliche Beschaffung nach ökologisch und sozial nachhaltigen Kriterien, sodass fortan ausschließlich auf der Basis von Freiwilligkeit fair beschafft werden kann. Sachverständige kritisierten scharf, dass neben der Streichung einer Nachweispflicht für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen auch sämtliche Kriterien für eine Einbeziehung von umwelt- oder gleichstellungsrelevanten Faktoren aus dem Gesetz fielen.

Kommunale Sachverständige bemängelten den vollständigen Rückzug des Landes als Regelungs- und Kontrollinstanz im Bereich der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung, etwa durch den Wegfallen landesweit bekannter Formblätter oder wegen der zu erwartenden Schwierigkeiten in der Vergabepraxis durch die „Zersplitterung der Vorgehensweise der verschiedenen Vergabestellen“. Statt Kommunen, die gerne nachhaltig und fair beschaffen möchten, zu „entfesseln“, entzog die Landesregierung ihnen jede Rechtssicherheit – ein Faktor, der vor allem in angespannten Haushaltslagen von enormer Bedeutung ist.

„Entfesselt“ wurden mit diesem Gesetzespaket also nur diejenigen Akteure, die nicht nachhaltig und fair beschaffen möchten. Der DGB schreibt im Rahmen einer Stellungnahme zur Aushöhlung des TVgG, dass „die Erfahrung in den Landesvergabegesetzen mit freiwilligen Regelungen [lehrt], dass es dort, wo es freiwillig ist, keine oder kaum Anwendung findet“. Nicht zuletzt erschwerte die Landesregierung so mit der Aushöhlung des TVgG die Markteinführung nachhaltiger Produkte in ganz Nordrhein-Westfalen, indem der öffentliche Sektor als Nachfrager nachhaltiger Produkte verschwindet und so für entsprechende Wettbewerbsteilnehmer*Innen Anreize wegfallen, nachhaltigkeitsbezogene Veränderungsprozesse „anzustoßen oder weiter zu beschreiten“ (ebd.).

Fest steht also, dass die CDU und FDP nachhaltige und faire Beschaffung in NRW massiv verhindern und somit „Leitplanken der Fairness“ abschaffen, statt sie zu installieren.

Nordrhein-Westfalen ist auch über die eigenen Grenzen hinaus ein entwicklungspolitischer Akteur von großem Gewicht. Unter der aktuellen schwarz-gelben Landesregierung scheint dieser Anspruch aber offensichtlich verloren gegangen zu sein.  Bereits im Haushalt für 2018 hat die Landesregierung eine Summe von 100.000 € zur „Evaluierung entwicklungspolitischer Förderprogramme“ eingesetzt. Allerdings scheint diese Evaluierung 2018 nicht stattgefunden oder zu keinen Ergebnissen geführt zu haben. Für 2019 wurde der gleiche Titel noch einmal um 100.000 € auf 200.000 € erhöht. Ob mittlerweile die im Koalitionsvertrag angekündigte Evaluierung stattgefunden hat, bleibt weiter unklar.

Während der Wille der Landesregierung, das entwicklungspolitische Engagement des Landes zu drosseln, deutlich sichtbar wurde, bleiben die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig.

Deshalb frage ich die Landesregierung:

1. Was hat die Landesregierung getan, um die Rolle des Landes als entwicklungspolitischer Akteur zu stärken?
2. Wie unterstützt die Landesregierung die nordrhein-westfälischen Kommunen nach der Aushöhlung des TVgG bei einer fairen öffentlichen Beschaffung?
3. Wie hat sich die Resonanz auf öffentliche Ausschreibungen seit der Aushöhlung des TVgG entwickelt? (Bitte auflisten nach Beschaffungssparte, Kommune und Jahr)
4. Inwieweit qualifiziert die Landesregierung Mitarbeiter*innen (auf kommunaler und Landesebene) in den Fragen der unterschiedlichen Fair Trade Siegel und Zertifikate in den verschiedenen Produktbereichen?
5. Welche Ergebnisse hat der seit 2018 angesetzte Evaluationsprozess entwicklungspolitischer Maßnahmen hervorgebracht?

Meine Kleine Anfrage (inklusive Quellenangaben)

Die Antworten der Landesregierung findet ihr hier