In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, dass sie die „Bundesstadt Bonn […] als Deutschlands Kompetenzzentrum für internationale Politik und globale Nachhaltigkeitsstrategien weiter stärken“ werde (S. 114). Bonn solle als zweites bundespolitisches Zentrum erhalten bleiben und gestärkt werden (vgl. S. 118). Deshalb wolle die Landesregierung „jeglichen Bestrebungen, die von den Vereinbarungen des Berlin/Bonn-Gesetzes abweichen, entschieden entgegentreten“ (ebd.). „Eine fortdauernde Präsenz der Bundesministerien mit erstem Dienstsitz in Bonn“ (ebd.) sei dabei eine „unverzichtbare Grundlage für die Fortentwicklung der bereits vorhandenen Kompetenzfelder“ (ebd.). Darüber hinaus wolle sie „die bundespolitischen Einrichtungen in Bonn synergetisch für die Entwicklung des Wissenschaftsstandorts nutzen“ (ebd.). Dazu gehöre ebenfalls „die Einrichtung eines Zentrums für Sicherheits-, Krisen- und Konfliktstudien, das auch den Cyberraum miteinschließt“ (ebd.). International gesehen, soll „die Entwicklung des UN-Standortes Bonn“ (ebd.) weiter gefördert werden. Die Landesregierung wolle „die Stadt aktiv bei der Ansiedlung weiterer internationaler Agenturen sowie der Anwerbung und Durchführung internationaler Kongresse und Konferenzen unterstützen“ (ebd.). So könne „das Potenzial des internationalen Standortes Bonn als Kompetenzzentrum für globale Entwicklung und Umwelt“ weiter ausgebaut werden (S. 118 f.). Als letzten Punkt zum Standort Bonn verspricht die Landesregierung „die Bundesratsinitiative für ein Gaststaatengesetz um Regelungen zugunsten nichtstaatlicher Organisationen“ (S. 119) zu erweitern.
Die Vielzahl an Versprechungen, die die Landesregierung Bonn bezüglich ihres Standortes macht, ist bemerkenswert. Dabei machte die Landesregierung erstmal mit einer großen Niederlage von sich reden, dadurch dass die Bundestadt Bonn bereits in der ersten Runde im Bewerberrennen um die Arzneimittelagentur EMA ausgeschieden war. Ihren vollmundigen Versprechungen sind auch ansonsten kaum aktive Taten gefolgt. Ein wichtiger Punkt ist zwar die am 17. Juni 2019 gefasste Leitbilderklärung der Region, die Hauptaufgabe der Verhandlungen mit dem Bund folgt allerdings erst.
Horst Seehofer, Bundesinnenminister und aus der Parteifamilie des Ministerpräsidenten stammend, zeigt erstmal fehlende Bereitschaft den Koalitionsvertrag (vgl. 6046 ff.) der Bundesregierung umzusetzen und eine Zusatzvereinbarung wie die Bonn-Vereinbarung zu verhandeln und umzusetzen. In der kleinen Anfrage von Horst Becker aus dem Februar 2019 wird die Uneinsichtigkeit Horst Seehofers explizit thematisiert. In ihrer Antwort bleibt die Landesregierung äußerst unkonkret. Sie verspricht zwar erneut, Bonn „bei der Vorbereitung und den Gesprächen mit dem Bund intensiv zu unterstützen“, äußert sich aber in keiner Form dazu, wann, wo und wie das geschehen soll.
Derweil ist der sog. „Rutschbahneffekt“ weiter zu beobachten: die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Quoten der Mitarbeiter*Innen in den Bonner Ministerien werden nicht mehr eingehalten. Zu erwähnen sind hier etwa auch die ca. 2000 neugeschaffenen Stellen in Ministerien in den letzten Jahren, die zu mehr als 85 Prozent nach Berlin gegangen sind. Trotz alledem ist zu lesen, dass die Gespräche für den „Bonn-Vertrag“ nach der Sommerpause 2019 beginnen sollen, mit dem Ziel Eckpunkte des Vertrages bis zum Ende des Jahres auszuarbeiten. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass die Forderungen der nordrheinwestfälischen Landesregierung wohl hinter dem bestehenden Berlin/Bonn-Gesetz zurückbleiben. So soll offenbar nicht mehr jedes Bundesministerium einen Dienstsitz in Bonn behalten. Die Landesregierung tritt damit der Zentralisierungswelle, die sich durch die scheinbar unaufhaltsame Verlagerung der Bundesministerien und Arbeitsplätze Richtung Berlin vollzieht, nicht entschieden entgegen. Sie scheint darüber hinaus sogar eine Aushöhlung des Berlin/Bonn-Gesetzes zu forcieren.
Doch nicht nur bundespolitisch gibt das Verhalten der Landesregierung in Bezug auf die Erfüllung ihrer Versprechungen Grund zur Nachfrage. Bonn bildet mit seinen zahlreichen Einrichtungen ein Zentrum internationaler Politik. In Zukunft soll vor allem der Bereich „Nachhaltige Entwicklung“ in den Vordergrund gestellt werden. Inwieweit die Landesregierung diesen Prozess mit unterstützenden Maßnahmen begleitet, wird nicht deutlich, da sie keine neuen Impulse zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie setzt und gesetzliche Bestimmungen wie das Tariftreue- und Vergabegesetz zu Lasten von Akteuren der internationalen Entwicklungszusammenarbeit lockert.
Darüber hinaus bleibt die Landesregierung hinter ihren Versprechungen zum Gaststaatgesetz zurück. Die Bundesratsinitiative, ursprünglich von der rot-grünen Landesregierung angestoßen, hat die schwarz-gelbe Landesregierung in der 965. Sitzung des Deutschen Bundesrates am 2. März 2018 erneut eingebracht. Allerdings tat sie das – entgegen ihren eigenen Ankündigungen – ohne die versprochenen Erweiterungen aus ihrem Koalitionsvertrag. Im März 2018 hat der Bundesrat auf NRW-Initiative den wortgleichen Gesetzentwurf aus der 17. Wahlperiode eingebracht. Wann sich Bundesregierung und Bundestag abschließend damit befassen, ist aber immer noch offen.
Die Versprechungen der schwarz-gelben Landesregierung bleiben auch knapp zweieinhalb Jahre nach Übernahme der Regierungsgeschäfte unkonkret und die Landesregierung selbst einen Nachweis über deren Verwirklichung oder zumindest die hierzu unternommenen Anstrengungen schuldig.
Deshalb frage ich die Landesregierung:
1. Wie will die Landesregierung die an eine Zusatzvereinbarung geknüpften Erwartungen der Region umsetzen?
2. Inwiefern plant die Landesregierung, im Zuge des Bonn-Vertrags einer Abschwächung der Regelungen in Berlin/Bonn-Gesetz zur Ansiedelung von Bundesministerien in Bonn zuzustimmen?
3. Mit welchen konkreten Maßnahmen möchte die Landesregierung das Profil NRWs mit Bonn als Standort für Nachhaltige Entwicklung stärken und weiterentwickeln?
4. Wann gedenkt die Landesregierung, das Gaststaatgesetz wie von ihr im Koalitionsvertrag (S. 119) angesprochen zu erweitern?
5. Wie ist der Stand bezüglich der Einrichtung eines Zentrums für Sicherheits-, Krisen- und Konfliktstudien, das auch den Cyberraum miteinschließt?