Jeanshosen, Autos oder Handys – diese und viele weitere Produkte sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Dass sie auf ihrem Weg in die Geschäfte meist Strecken von mehr als 50.000 Kilometern hinter sich legen, ist uns dabei nicht immer bewusst.
Oft finden die einzelnen Produktionsschritte in unterschiedlichen Ländern statt, wodurch lange Lieferketten entstehen. Bei einer Jeans bedeutet das beispielsweise: Baumwollanbau in Kasachstan, Spinnerei in der Türkei, Färberei in China, Weberei in Polen, Näherei in Bangladesch, Exporteur in Belgien und schließlich der Verkauf in Deutschland. Besonders problematisch sind dabei die von Land zu Land unterschiedlichen Standards und gesetzlichen Grundlagen für Arbeits- und Produktionsbedingungen.
Immer wieder ereignen sich Katastrophen, wie die Selbstmordreihe bei Foxconn (China, 2010), einem Zulieferer für Apple und Co., dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza (Bangladesch, 2013), bei dem mehr als tausend Menschen starben oder dem Dammbruch an einer Eisenerzmine (Brasilien, 2019), die für VW und BMW Stahl herstellt.
Welche internationalen Regeln gelten
Dabei gibt es eine Vielzahl internationaler Abkommen und Regeln, die solche Katastrophen verhindern sollen. Die Internationalen Arbeitsorganisation, engl. International Labour Organization (ILO), gibt Normen für die Wahrung von Sozialstandards vor. Einige dieser Normen bilden als so genannten „Kernarbeitsnormen“ die absoluten Mindeststandards für menschenwürdige Arbeitsbedingungen ab. Dazu zählen die Beseitigung von Zwangs- und Kinderarbeit, das Verbot der Diskriminierung und die Vereinigungsfreiheit. Doch selbst gegen diese ILO-Kernarbeitsnormen sind millionenfache Verstöße an der Tagesordnung, denn häufig kontrollieren Unternehmen nicht, ob ihre Zulieferer sich an die ILO-Kernarbeitsnormen halten.
Welche Handlungsschwerpunkte die ILO für ein besseres Zusammenspiel von Wachstum, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit fordmuliert hat, erfahren Sie hier.
Warum Freiwilligkeit allein nicht ausreicht
2016 verkündete die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Mit dem NAP möchte die Bundesregierung die Menschenrechtslage verbessern und die Globalisierung sozialer gestalten. Dafür müssen Unternehmen die vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten einhalten. Dazu zählt neben der Überprüfung ihrer Lieferketten, also die Ermittlung von menschenrechtswidrigen Arbeitsbedingungen, auch das Ergreifen von Gegenmaßnahmen. Derzeit baut die Bundesregierung noch darauf, dass ein Großteil der Unternehmen sich freiwillig zu ihrer Sorgfaltspflicht bekennt und diese umsetzt.
Um zu überprüfen, ob deutsche Unternehmen freiwillig in transparentere Lieferketten investieren, hat die Bundesregierung von 2018 bis 2020 den Umsetzungsgrad des NAP in einem Monitoring überprüft. Zielvorgabe war, dass 2020 mindestens die Hälfte aller Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten die Elemente den NAP umgesetzt haben. Sollte das geschehen sein, würde man zunächst von strengeren gesetzlichen Regelungen absehen. Die erste Auswertung der Befragung von 2019 ergab jedoch, dass bislang nur knapp 20% der deutschen Unternehmen die Vorgaben aus dem NAP umsetzen. Es ist also offensichtlich, dass Freiwilligkeit allein kein geeignetes Instrument zur Erreichung eines nachhaltigeren und sozialeren Welthandels ist.
Wie ich mich für ein bundesweites Lieferkettengesetz einsetze
Damit möglichst schnell ein bundesweites Lieferkettengesetz verabschiedet wird, machte ich mich im Dezember 2019 gemeinsam mit der Fraktion für ein Lieferkettengesetz stark. Unter dem Titel: „NRWs Beitrag zu einem Lieferkettengesetz: Faire Produktionsbedingungen für die Vielen schaffen“ forderten wir die Landesregierung auf, eine Initiative im Bundesrat einzubringen und sich auch gegenüber der Bundesregierung und der EU für ein Lieferkettengesetz auszusprechen. (Hier finden Sie den entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion)
Diese Länder gehen mit gutem Beispiel voran
Deutschland ist im europäischen Vergleich kein Vorreiter, was den Einsatz transparenter Lieferketten angeht, im Gegenteil: Andere europäische Länder sind bereits mit gutem Beispiel voran gegangen. Frankreich führte als erstes Land eine Sorgfaltspflicht ein, bei der Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden. Diese gilt auch für Tochtergesellschaften und Zulieferer der Unternehmen. In den Niederlanden wurde im Mai 2019 ein Gesetz gegen Kinderarbeit verabschiedet, das Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen beim Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vorsieht. In Finnland, Dänemark und Österreich gibt es auf parlamentarischer Ebene Vorschläge zur Verankerung verbindlicher menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.
Damit in Europa kein Regelungs-Flickenteppich zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entsteht, muss die Bundesregierung die deutsche EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 unbedingt nutzen, um ein einheitliches europäisches Vorgehen für transparente Lieferketten auf den Weg zu bringen.
Wie sich einige Unternehmen engagieren
In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen selbst Verantwortung für ihre Wertschöpfungsketten übernommen. So haben sich beispielsweise Unternehmen im Textil-, Kakao- und Kohlesektor in freiwilligen Bündnissen zusammen getan, um ihre Lieferketten effektiv zurückverfolgen zu können.
Bereits im Jahr 2000 gründeten die Vereinten Nationen (UN) den Global Compact, einen freiwilligen Pakt mit Unternehmen und in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Handelskammer. Dieser bietet Unternehmen ein Netzwerk und zielt darauf ab, dass sie ihre Strategien im Einklang mit Menschenrechten, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung gestalten. Der Leitfaden des Business for Social Responsibility Netzwerks (BSR) soll Unternehmen dazu ermutigen, den Weg weiter in Richtung nachhaltiger Lieferketten einzuschlagen und erklärt Schritt für Schritt den Aufbau einer nachhaltigen Lieferkette. Auch die Bundesregierung stellt solche Praxisleitfäden zur Verfügung.
Inzwischen plädieren auch einige große Unternehmen für eine solche gesetzliche Regelung: Im Dezember 2019 veröffentlichten 42 Unternehmen – darunter auch Tchibo und Ritter – eine Stellungnahme, in der sie sich für ein Lieferkettengesetz aussprechen.
So engagiert sich die Zivilgesellschaft für ein Lieferkettengesetz
Auch die deutsche Zivilgesellschaft hat die Problematik längst erkannt und ist selbst aktiv geworden: Verschiedene Organisationen (Germanwatch, Misereor, Forum Fairer Handel) haben beispielsweise gemeinsam eine Initiative und Petition gestartet, die ein Liefergesetz durchsetzen soll. Wichtig ist hier: Ein solches Gesetz soll Unternehmen, die bereits verantwortungsvoll handeln, schützten. Denn in einer Wettbewerbssituation, in der nur einige Unternehmen die Mehrkosten für transparente Lieferketten zu tragen bereit sind, haben alle anderen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Ein Gesetz, das alle Wettbewerbsteilnehmer gleichermaßen verpflichtet, in transparente Lieferketten zu investieren, schafft ein sogenanntes „level playing field“, also gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle.
Aufgrund der aktuellen Corona-Krise verkündete Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, die Verschiebung des Lieferketten-Gesetzesvorhabens. Er hatte sich zuvor für die schnelle Umsetzung eingesetzt und wollte ursprünglich im März die Eckpunkte eines Lieferkettengesetzes vorstellen.